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«Der Vorsprung der Elektroautos wächst stetig»

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«Der Vorsprung der Elektroautos wächst stetig»

14. Juni 2021

Wenn es um die Ökobilanz der verschiedenen Antriebsarten geht, ist Christian Bauer der gefragteste Experte der Schweiz. Im Interview erklärt der Forscher des Paul Scherrer Instituts, weshalb Elektroautos am klimafreundlichsten sind und wieso er trotzdem noch einen Diesel-Van fährt.

Interview: Reto Neyerlin 

Herr Bauer, Sie haben in mehreren Studien die Ökobilanz der verschiedenen Antriebsarten untersucht. Mit welchem Ergebnis?

Seit Jahren zeigt sich, dass der Elektroantrieb – sofern sauberer Strom genutzt wird – über die gesamte Nutzungsdauer betrachtet am umweltfreundlichsten ist. Und der Vorsprung der Batterieautos wächst stetig.

Wie berechnet man denn die Ökobilanz eines Fahrzeugs?

Wir erfassen dafür den ganzen Lebenszyklus – von der Förderung der Metalle über die Herstellung und den Betrieb der Fahrzeuge bis hin zur Entsorgung. Wir berücksichtigen dabei alle Umweltschäden, die ein Auto verursacht, wie Luftschadstoff- und Treibhausgasemissionen oder den Landverbrauch für Parkplatz und Strassen. 

Für die Ökobilanz eines Fahrzeugs erfassen wir den ganzen Lebenszyklus – von der Förderung der Metalle über die Herstellung und den Betrieb der Fahrzeuge bis hin zur Entsorgung.
Christian Bauer
Christian Bauer Portrait
Bestandteile des ID.3

Zu Beginn ihrer Lebensdauer haben Elektrofahrzeuge einen Nachteil, da die Herstellung der Batterie sehr energieintensiv ist. Anschliessend sind sie aber lokal emissionsfrei unterwegs. Wie lange dauert es, bis das E-Auto einen Verbrenner in der Klimabilanz überholt?   

Das hängt von der Herkunft des Stroms und vom Treibstoffverbrauch ab. In der Schweiz, wo der Strom hauptsächlich aus Wasserkraft- und Kernkraftwerken stammt und damit sehr CO2-arm ist, bewegt sich das zwischen 20 000 und 50 000 Kilometern. Mit dem europäischen Strommix ist ein Elektroauto ab etwa 100 000 Kilometern klimafreundlicher. Denn dort sind noch viele Kohlekraftwerke am Netz. Man darf das aber nicht nur aus heutiger Perspektive betrachten, sondern muss auch die zukünftige Entwicklung miteinbeziehen. Wenn die EU ihre Klimaziele ernst nimmt, dann ist der Stromsektor spätestens ab 2050 fast frei von CO2

Was können die Hersteller unternehmen, damit E-Autos noch schneller klimafreundlich sind?

Am sinnvollsten ist, dass die Hersteller ihre Werke möglichst treibhausgasarm betreiben. Das heisst konkret, die Werke von Kohle oder Erdgas auf erneuerbare Energieträger umzustellen. Weiter können sie auch in ihren Lieferketten auf umweltfreundliche Herstellungsprozesse bestehen. Und schliesslich sollten sie die Autokäufer dazu motivieren, konsequent mit Grünstrom zu laden. So kann erreicht werden, dass der verwendete Strom über die ganze Lebensdauer eines Elektroautos aus erneuerbaren Quellen stammt. 

Natur, Klimaschutz, electric vehicle, ID.3

Volkswagen hat mit dem ID.3 und dem ID.4 die ersten Modelle auf den Markt gebracht, die bilanziell CO2-neutral ausgeliefert werden. Ist das der richtige Ansatz?

Es ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung. Wobei bilanziell CO2-neutral bedeutet, dass die Emissionen, die sich nicht reduzieren oder vermeiden lassen, kompensiert werden. Da muss garantiert sein, dass es sich um nachhaltige Massnahmen handelt. 

Sie haben mit Ihrem Team am Paul Scherrer Institut ein neues Webtool entwickelt, den sogenannten Carculator. Was hat es damit auf sich? 

Mit dem Carculator lassen sich auf einfache Art die Ökobilanzen verschiedener Antriebstechnologien miteinander vergleichen. Die Nutzer können dabei auch diverse Parameter selbst einstellen, wie beispielsweise die Batteriegrösse oder die Stromherkunft, und quasi die individuelle Ökobilanz ihres Fahrzeugs bestimmen. Die Daten des Carculators kommen zudem in der Autosuche des TCS zum Einsatz, wo man gezielt verschiedene Modelle gegenüberstellen kann.

Batterieautos sind zwar aktuell leicht teurer als Verbrenner, aber viel billiger als Brennstoffzellenautos. Und das Angebot an E-Modellen ist ungleich grösser.
Christian Bauer
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Sowohl im Carculator wie auch in der Autosuche schneiden die Batteriefahrzeuge durchwegs am klimafreundlichsten ab. Gibt es bei den Personenwagen überhaupt noch eine Alternative zu Elektroautos?  

Momentan schaut es tatsächlich so aus, als ob die Batterieautos das Rennen machen. CO2-neutrale Alternativen wären theoretisch Brennstoffzellenfahrzeuge oder Verbrenner, die mit synthetischen Treibstoffen betrieben werden. Bei diesen gibt es aber diverse Probleme. Erstens sind sie weniger energieeffiziert, das heisst, man braucht viel mehr erneuerbaren Strom pro Kilometer. Beim Wasserstoff kommt noch die fehlende Infrastruktur dazu. Dann sind Batterieautos aktuell zwar leicht teurer als Verbrenner, aber viel billiger als Brennstoffzellenautos. Und das Angebot an E-Modellen ist ungleich grösser. All das trägt dazu bei, dass Batterieautos im Personenwagenbereich die bessere Wahl sind.     

Ab wann dürfen keine Benzin- oder Dieselautos mehr fahren, um den Klimawandel zu stoppen?

Wenn man bis im Jahr 2050 die Klimaneutralität erreichen will, dürfen spätestens dann keine Verbrenner mehr unterwegs sein. Geht man nun von einer Lebensdauer der Autos von circa fünfzehn Jahren aus, dürfen ab 2035 keine Autos mit Verbrennungsmotor neu auf die Strasse gebracht werden.    

Geht der Umstieg bei den Herstellern schnell genug voran?

Teils, teils. Es gibt bereits einige, wie zum Beispiel Volkswagen und ein paar mehr, die angekündigt haben, komplett auf Elektroantriebe umzusteigen. Bei anderen gibt es aber sicher Nachholbedarf. Es scheint, die einen Hersteller tun das, was sie tun können, die anderen, was sie tun müssen. Wobei es für Europa mit den geplanten Abgasvorschriften klar ist, dass in nicht allzu ferner Zukunft ein grosser Teil der verkauften Fahrzeuge zwingend elektrisch sein muss.

Trotz aller ökologischer Pluspunkte hat die Elektromobilität mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Gibt es Kritikpunkte, die gerechtfertigt sind?

Das Ladeproblem ist für viele Leute real. Wer kein eigenes Haus hat oder keinen Parkplatz, wo sich eine Lademöglichkeit installieren lässt, für den kommt ein Elektroauto momentan kaum in Frage. Es gibt zwar viele öffentliche Ladestationen, aber die sind meist nicht gerade dort, wo man wohnt. Ich sehe es an mir selbst. Ich kann nicht einfach aus dem vierten Stock das Kabel runterwerfen und mein Auto laden. Häufig bemängelt werden zudem die Reichweiten, wobei dies immer weniger ins Gewicht fällt. Die Kapazitäten der Batterien nehmen stetig zu, während die öffentliche Ladeinfrastruktur weiter ausgebaut wird. Das Thema wird sich also schon bald erledigt haben. 

Es scheint, die einen Hersteller tun das, was sie tun können, die anderen, was sie tun müssen.
Christian Bauer 

Welche Schritte kann die Politik unternehmen, um die Elektromobilität zu forcieren?

Die Politik sollte vor allem die Rahmenbedingungen schaffen, um den raschen Ausbau der Ladeinfrastruktur zu ermöglichen. Damit zum Beispiel Besitzer von Stockwerkeigentum einfach eine eigene Wallbox installieren können. Es würde auch helfen, wenn diese Rahmenbedingungen für die ganze Schweiz gleich wären und sich nicht von Kanton zu Kanton unterscheiden würden. 

Was braucht es weiter, damit sich die Elektromobilität endgültig durchsetzt? 

Mehr Modellvielfalt ist wünschenswert. Das Ziel müsste sein, dass wirklich alle Modelle elektrisch verfügbar sind. Wenn die Batterieautos dann in der Anschaffung noch günstiger werden, ist das ebenfalls kein Nachteil. 

Die Volkswagen Wallbox wird installiert.

Was fahren Sie selbst für ein Auto?

Ich habe einen zehn Jahre alten Minivan mit Dieselmotor, der hoffentlich noch ein paar Jahre hält. Anschliessend lautet der Plan, ihn mit einem Elektroauto zu ersetzen – vorausgesetzt, das passende Modell ist erhältlich und ich verfüge über eine praktikable Lademöglichkeit. 

 

carculator.psi.chExternen Link öffnen
tcs.ch/autosucheExternen Link öffnen

Persönlich

Christian Bauer Portrait

Christian Bauer (44) ist Forscher in der Gruppe Technologiebewertung des Paul Scherrer Instituts (PSI). Er stammt ursprünglich aus Linz (Ö), studierte in Graz Umweltsystemwissenschaften und absolvierte ein Austauschjahr an der ETH Zürich. Seine Masterarbeit schrieb er 2003 am PSI, seither ist er für das grösste Forschungsinstitut für Natur- und Ingenieurwissenschaften der Schweiz tätig. 

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