Elektroauto-Sound: Auf der Suche nach dem perfekten Klang
Elektroauto-Sound: Auf der Suche nach dem perfekten Klang
Ab Juli 2019 ist bei komplett neu entwickelten Elektroautos der Einbau eines Warngeräuschgenerators Pflicht. Doch wie sollte ein Elektroauto klingen, damit es sicher und gleichzeitig angenehm von anderen Verkehrsteilnehmern wahrgenommen wird? Ein Besuch bei den e-Soundexperten von Volkswagen.
Text von Phillip Bittner
Bilder von Volkswagen Aktiengesellschaft
September 2019
Es ist laut auf der Akustik-Aussenmessstrecke des Volkswagen Werkes in Wolfsburg. Doch das liegt nicht an vorbeifahrenden Autos, sondern vielmehr an den tierischen Nachbarn. Am Betriebswasser- Rückhaltebecken direkt neben dem rund 600 Meter langen Messgelände haben zahlreiche Gänse auf ihrem Weg in den Süden eine Pause eingelegt und schnattern, was das Zeug hält. „Jetzt wäre es nicht so einfach zu messen“, sagt Dr. Ingo Hapke, Leiter des Akustikteams bei Volkswagen, und lacht. Gut, dass heute schon alles im Kasten beziehungsweise auf den Festplatten der Messcomputer ist und der Prototyp des Ende 2019 erscheinenden ID.3 friedlich unter seiner Schutzplane steht.
Nur kurze Zeit zuvor drehte das zukünftige Mitglied der elektrifizierten ID. Familie hier zahlreiche Runden. Immer und immer wieder fuhren die Akustikexperten das Elektrofahrzeug durch die Akustikmessstelle, die sich – mit mehreren Stativmikrofonen ausgestattet – in der Mitte der Strecke befindet. Jedoch nicht lautlos, wie die heutigen Elektrofahrzeuge, sondern mit einem noch geheimen Sound, der später den ID. begleiten wird.
Neuer Elektrosound durch EU-Verordnung
Grund ist eine neue EU-Verordnung, die ab dem 1. Juli 2019 in Kraft getreten ist.
Durch sie muss in neuen Typen von Hybridelektro- und reinen Elektrofahrzeugen ein Acoustic Vehicle Alerting System, kurz AVAS, zum Schutz von anderen Verkehrsteilnehmern installiert sein. Dabei gelten zahlreiche Vorgaben. Das „Dauerschallzeichen“, wie es im Gesetzestext heisst, muss abhängig von der Geschwindigkeit sein. Fussgänger oder Fahrradfahrer sollen so am Geräusch des Elektroautos erkennen, ob das Fahrzeug beschleunigt oder abbremst. Bei Rückwärtsfahrten reicht ein kontinuierlicher Sound. Zudem definiert die EU-Verordnung die Lautstärke in verschiedenen Abständen zum Fahrzeug, aber auch die Frequenzverschiebungen, die der Sound haben darf. Ab 20 Stundenkilometern wird die Lautstärke (der Pegel) langsam abgesenkt, denn dann wird das Abrollgeräusch der Reifen so laut, dass ein zusätzliches akustisches Signal nicht mehr notwendig ist.
Die neue EU-Gesetzgebung stellt Hapke und sein Team vor spannende Herausforderungen. «Wir wollen so viel Schall wie gesetzlich erforderlich nach aussen und möglichst wenig in den Innenraum des Fahrzeugs bringen», sagt Hapke. Dies gelinge zum einen durch eine Position des Lautsprechersystems, die sich möglichst weit aussen befinde, und zum anderen durch eine Entkopplung des Lautsprechers von der Karosserie. «Schall überträgt sich nicht nur durch die Luft, sondern auch über Körper», erläutert der Experte. Durch die Vorgaben der EU wird ebenfalls das Soundspektrum eingegrenzt. «Ein Musikstück oder Pferdegetrappel gehen nicht», sagt Hapke.
Doch wie soll ein elektrifizierter Volkswagen zukünftig klingen? «Freundlich und leicht», antwortet Hapke. Und natürlich unverkennbar nach einem Volkswagen. Wobei die einzelnen Fahrzeugmodelle sich natürlich soundtechnisch unterscheiden. Ein ID. hat einen eigenen Charakter – das wollen die Soundexperten mit ihrer Arbeit unterstreichen. Dabei müssen Ingo Hapke und seine Mitarbeiter mit ihren Sounds stets den Spagat schaffen, alle gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen und dennoch angenehm und unverwechselbar zu klingen.
Wie klingt der Elektrosound der Zukunft?
Einer von ihnen ist der studierte Maschinenbauer Michael Wehrmann, der seit 2011 als Soundapplikateur bei Volkswagen arbeitet. „Beim e-up!1 und e-Golf2, die bereits einen optionalen e-Sound anbieten, haben wir uns an den Verbrennungsmotoren orientiert“, sagt Wehrmann.
Bei der ID. Familie soll es nun jedoch ganz anders klingen – nach einer elektrifizierten Zukunft. „Für mich ist es wichtig, dass der Sound eine kontinuierlich arbeitende Maschine abbildet – etwa wie grosse Ventilatoren“, sagt Ingo Hapke. Eine Herausforderung für die Volkswagen Experten: sehr persönliche Begriffe und Empfindungen wie freundlich und leicht in die Akustikersprache zu übersetzen. „Wir arbeiten mehr mit Begriffen wie Tonalität, Rauigkeit, Harmonie, hell oder dunkel“, erklärt Wehrmann. Die Inspirationen für den Sound der Zukunft bekommen die Akustiker beispielsweise von Filmfahrzeugen wie bei den Podracern aus Star Wars, aber auch durch alltägliche Verkehrsgeräusche wie Strassenbahnen oder aus der Natur. „Die Soundquellen können synthetischen Ursprungs sein, aber auch aus realen Aufnahmen stammen“, so Wehrmann, der für die Soundfindung auf gemessene Daten, Instrumentensamples und Synthesizer zurückgreift.
1. e-up! Stromverbrauch in kWh/100 km: 12,9 - 12,7 (kombiniert); CO2-Emission in g/km: 0 (kombiniert); Effizienzklasse: A
2. e-Golf Stromverbrauch in kWh/100 km: 14,1 - 13,2 (kombiniert); CO2-Emission in g/km: 0 (kombiniert); Effizienzklasse: A
Entwicklung am Laptop, Messung am Fahrzeug
Ein Elektrosound besteht aber nicht nur aus einer einzigen Quelle. Soundapplikateur Wehrmann komponiert ihn am Laptop wie ein Musikstück mit mehreren Instrumenten. Dazu hat er eine eigene Software entwickelt: den CarSoundDesigner. Mit ihm kann er zudem den Sound im Fahrbetrieb simulieren. An Wehrmanns Arbeitsplatz sieht es dann mitunter aus wie vor einer Spielkonsole. Denn der Soundexperte steuert den CarSoundDesigner unter anderem mit Gaspedal und Lenkrad, wie man es aus Rennspielen kennt. Durch die Software kann Wehrmann die Sounds auch ohne Fahrzeug anhören, auf ihre Klangqualität hin bewerten und prognostizieren, ob in einzelnen Frequenzbereichen der Lautstärkepegel angehoben werden muss. Auch die zuvor durch detaillierte Messungen ermittelten akustischen Karosserieeigenschaften bezieht das Computerprogramm mit ein. Zur weiteren Abstimmung geht es dann an einen ganz besonderen Ort auf dem Wolfsburger Werksgelände: in die Aussengeräuschhalle.
Wenn die etwa 50 Zentimeter dicke Tür, die der eines Tresors ähnelt, hinter einem ins Schloss fällt, merkt man es sofort an den Ohren. Dieser rund 23 Meter lange, 19 Meter breite und 6 Meter hohe Raum ist anders. Decke und Wände sind mit schallschluckenden Materialien ausgekleidet, Reflexionen der Schallwellen werden so minimiert. Ein leichter Druck legt sich auf die Trommelfelle. Es herrscht Stille.
Der Sound der zukünftigen Elektrofahrzeuge klingt freundlich
und leicht – und unverwechselbar nach Volkswagen.